Zum Werk von Oskar Mulley
Der Maler Oskar Mulley wird 1891 in Klagenfurt geboren. Nach der Schulzeit an der Realschule in Klagenfurt wechselt er 1909 nach München an die Städtische Gewerbeschule. 1910 wiederum zieht er nach Wien, wo er die Aufnahmeprüfung der Akademie besteht. Die Jahre 1910/11 in Wien werden prägend für die Entwicklung des Künstlers. Die Metropole Wien gleicht Anfang des 20. Jahrhunderts einem Laboratorium der Moderne. Jugendstil, Symbolismus, Avantgarde verwirklichen sich nebeneinander.
Nach dem Studium an der Akademie und einer Zeit in der Theaterdekorationsmalerei tritt Oskar Mulley 1913 in den Wehrdienst ein. Im Ersten Weltkrieg wird er während des Russland-Feldzuges verwundet. Aufgrund seiner Verwundung folgt 1915 eine Versetzung nach Bozen und von dort aus 1918 nach Kufstein.
Nach der Beendigung des Militärdienstes arbeitet Oskar Mulley ab 1919 als freischaffender Künstler.
Seine frühen, kurz nach Kriegsende entstandenen Landschaften tragen dekorative Züge. Schneereste werden im Auge des Künstlers zu amorphen Mustern abstrahiert, so etwa im Gemälde „Flusslandschaft“ (1919) (Anm. 1). Der Eigenwert der Farbflächen, die Lineatur der Baumstämme und Äste entsprechen der Malsprache des Jugendstils. Besonders lebendig erscheint die Musterbildung in Mulleys Gemälde „Schneeschmelze“ (1919) (Anm. 2), in dem der Maler nivellierend Schneeflächen, Baumstämme, Bergflächen und Erdgrund mit einer aus kurzen Strichen gebildeten Schraffur überzieht.
Entsprechend des Stilpluralismus der Epoche finden sich in Mulleys Oeuvre neben der dekorativen Verfremdung der Landschaft im Sinne des Jugendstils auch symbolistische Elemente. Besonders augenscheinlich wird die Verwendung symbolistischer Kunstgriffe in der Zeit der Verarbeitung seiner Kriegserlebnisse. Günther Moschig verweist auf die Verwendung mystischer Endzeitsymbole in nach dem Krieg entstandenen Werken des Künstlers. (Anm. 3) Doch neben der von Moschig beobachteten Symbolhaftigkeit der Nachkriegsgemälde Mulleys bedient sich der Maler einer dem Motiv impliziten, gleichsam stillen Symbolsprache ohne den augenfälligen Einsatz tradierter Symbole. Die Natur selbst wird zum Transmitter einer über den Gegenstand hinausweisenden Aussage. Mulley bezeichnet die Natur als „Mittel zum Zweck künstlerischen Tuns“. (Anm. 4) Sie wird eingesetzt als verweisendes Zeichen. Diese Verweiskraft der Natur erfüllt sich jedoch nur in der künstlerischen Gestaltung. Sie wird nicht entsprechend vorgefundener realistischer Gegebenheiten unmittelbar ins Bildgesetzt, sondern als Motiv im Bild bewusst konstruiert.
Die bewusst gestaltete Natur-Schau sei im folgenden anhand der gespachtelten Bergbauernhof-Gemälde Oskar Mulleys veranschaulicht, die in dem Maler in den 1920er Jahren in großen Ausstellungen Erfolge brachten. Mulley bildet nicht ab, was er unmittelbar sieht, sondern erfindet die Natur aus den vorgefundenen Elementen neu im Sinne eines Künstler-Schöpfers. Er stellt Berghöfe vor Felswände, die in Gipfeln enden. Wie Günther Moschig betont, finden sich in Mulleys Bergwelten keine Menschen als Figurenstaffage. (Anm. 5) Als Verweis auf den Menschen setzt der Maler die Gehöfte, die seine Bergkulissen bespielen. Es fällt auf, dass diese Gehöfte in der architektonischen Gestaltung mit „Vorsprünge(n) und Ritze(n)“ sowie in der verkrusteten, felsenähnlichen Oberflächengestaltung den Felswänden der Berge ähneln. (Anm. 6) Der Künstler sieht und schafft hier im Sinne der symbolistischen Kunst-Konzeption Entsprechungen bzw. Korrespondenzen, die er im Bild zur Aussage erhebt. (Anm. 7) Die optische Annäherung von Berg und Berghof, verweist auf die Bezogenheit von Berg und Mensch, wenn man die Gehöfte Mulleys als Platzhalter des Menschen betrachtet.
Eine weitere Eigenart dieser Bergwelten stellt die Platzierung der Gehöfte dar. Sie stehen immer wieder unmittelbar am Abhang vis-à-vis der Bergesgipfel – und zwar bewusst konstruiert, nicht in real existierender Gegebenheit. Als wollte der Mensch dem Bergesgipfel so nahe wie möglich kommen, eine Annäherung, die allerdings nicht vollends gelingt, da die Gehöfte durch Schluchten von den Gipfeln getrennt werden. Bezieht man in die Deutung der Gemälde Mulleys die Symbolbedeutung des Motivs des Berges und des Gipfels ein, ergibt sich eine neue Lesart der Bildsprache des Malers. Der Gipfel gilt als Symbol des Übergangs der Welt der Erscheinungen zur transzendentalen Welt eines höheren Daseins jenseits der umgebenden Wirklichkeit. (Anm. 8) Mit Blick auf den Berg als Transzendenzsymbol lassen sich Mulleys symbiotische Berg-Gehöft-Verbindungen als Aufstieg zur Erkenntnis des wahren Seins deuten - oder zumindest als Streben nach dieser Erkenntnis und nach der Teilnahme an der transzendentalen Wahrheit. Der symbolistische Künstler strebt nach dem Aufgehen der Künstlerseele in der Weltseele und nach der Vermittlung dieser Erfahrung an seinen Rezipienten. (Anm. 9)
Entsprechend wäre die Deutung der Symbolsprache Oskar Mulleys durch Günther Moschig zu erweitern. Moschig sieht im Spiel des Künstlers mit „Annäherung und Distanz“ die Bedrohung des Menschen durch die allmächtige Natur thematisiert. (Anm. 10) Ein Streben nach dem Gipfel als Scheidepunkt zum wahren Sein wurde in der Auseinandersetzung mit der Motivwelt Oskar Mulleys bisher nicht in Betracht gezogen und darf als neuer Interpretationsansatz gelten.
Viviane Kafitz
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1) Vgl. Günther Moschig, Mulley. 1891-1949, hg. Von Herbert Ascherbauer, Schwarzach 1991, Abb. 2 des Bildteils. Auch Moschig verweist auf eine „graphisch dekorative Aussage“ in den frühen Kufsteiner Landschaften. Vgl. ebda., Textteil S. 4 (im Buch leider keine Paginierung).
2) Siehe Ebda, Abb. 3 des Bildteils.
3) Ebda., S. 6/7 des Textteils.
4) Zitiert nach ebda., S. 8 des Textteils.
5) Vgl. ebda., S. 10 des Textteils.
6) Ebda.
7) Vgl. Charles Baudelaires programmatisches Gedicht „Correspondances“.
8) Vgl. J, C. Cooper, Illustriertes Lexikon der traditionellen Symbole, Leipzig, 2. Aufl. 1986, S. 23f.
9) Zur Legitimation einer Interpretation der Bergwelten Mulleys im Sinne des Symbolismus sei darauf verwiesen, dass Oskar Mulley in Wien bei dem symbolistischen Maler Professor Rudolf Jettmar studierte, und von daher eine entsprechend tiefe symbolistische Prägung des Künstlers nahe liegt.
10) Günther Moschig, a. a. O., S. 10 des Textteils.
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